„Scheitern ist keine Option“, hört man oft. Ist das so? Warum nicht?
Mir persönlich ist es sicher weit öfter gelungen bei Ideen, Projekten, Geschäften, Abenteuern oder Neues zu schaffen zu scheitern als große Erfolge verzeichnet zu haben. Ohne diese Fehler, hätte ich nie die Lektionen des Lebens oder die Lehre wissenschaftlich und wirtschaftlich erfolgreich zu sein gelernt. Als Arzt und Chirurg kann ich Ihnen sagen, dass Scheitern ein ganz wichtiger Teil des Fortschritts ist, der das Feld voran bringt.
Lassen Sie mich versuchen das zu erklären: Das meiste in der Medizin ist sowohl Wissenschaft in ständiger Entwicklung und Veränderung und gleichzeitig eine Kunst, die elegant von den besten Ärzten praktiziert wird. Wenn man einen Arzt sagen hört, „ich tue nur das, was geprüft und zugelassen ist“, hört man einem Arzt zu, der im Mittelfeld von Vorgaben gefangen ist. Beispielsweise besagt eine Verordnung eines Versicherungsunternehmens, dass sie nur für bewährte Medikamente oder Verfahren zahlen. Dies zeigt, dass nur das im Versicherungsgeschäft berücksichtigt wird was wirtschaftlich sinnvoll erscheint. Denn die meisten Therapien in der Medizin sind nie von einer sogenannten Klasse 1-Studie hochwertig nachgewiesen worden. Manche werden aber bezahlt und manche nicht?! Gleichzeitig entwickeln und verbessern sich Verfahren später, werden aber in einer bestimmten Studie gar nicht berücksichtigt. Danach wird die Studie dann erst trotzdem abgeschlossen und die Neuerung nicht berücksichtigt. In der Realität werden bei den großen medizinischen Fachzeitschriften oft weniger als 5% der eingereichten Beiträge als Level-1-Studie klassifiziert. Diese Verzahnungen des Fortschritts bei gleichzeitigem wirtschaftlichem Druck machen es kompliziert und alle Beteiligten agieren wie im wahren Leben unter großer Unsicherheit. Lassen Sie sich daher nicht darauf ein, nur das zu akzeptieren, was die Versicherungen vorgeben. Lassen Sie sich auch nicht in die Hängematte der falschen Sicherheiten dieses Systems fallen.
Wenn ich dann noch beobachte wie staatliche Regulierung, die sicher alle Ärzte benötigen, in die Therapiefreiheit eingreifen, dann wundere ich mich was das bringen soll? In erster Linie ist der Arzt mit seinem Patienten gemeinsam tätig und muss über alles offen sprechen. Sicher ist auch etliches vorgekommen, das so nicht hätte passieren dürfen. Aber Generalverbote auszusprechen und Prozesse allgemein aufzublasen um Pseudosicherheiten zu erzeugen ist die falsche Reaktion. Dokumentation ist dabei ganz wichtig. Datenschutz aber auch. Diese medizinischen Aufzeichnungen sind aber weit davon entfernt, für alle zugänglich, gleichzeitig sicher, privat, übertragbar oder sogar hilfreich zu sein. Solche Forderung führen aus meiner Sicht oft zu mehr Schaden als Nutzen in bestimmten Stadien und Situationen. Es ist gut, dass der Staat versucht, Risiken zu reduzieren und Standards zu etablieren. Aber Standards und Exzellenz schließen sich gemäß einer philosophischen Betrachtung aus. Man darf nicht aus den Augen verlieren, was Innovationsarbeit ausmacht. Zertifizierungen und ihre notwendigen Prozesse sicher nicht. Das Scheitern ist der Kraftstoff der intelligenten Innovationen. Risiken einzugehen bedeutet, zu akzeptieren, dass ein bestimmter Prozentsatz der Bemühungen nicht funktionieren wird, vor allem in der Chirurgie und der Patientenversorgung. Entsetzt?
Wenn dann im Ergebnis auch noch festgehalten wird, dass weder eine fehlerhafte Behandlung noch ein kausaler Gesundheitsschaden festgestellt werden kann, dann ist man als vermeintlich ‚Geschädigter‘ natürlich frustriert. Dabei ist aber zusätzlich zu beachten, dass einem ärztlichen Behandlungsvertrag ein Dienstvertrag zugrunde liegt. Geschuldet wird dabei nicht ein (Heilungs-/Behandlungs-)Erfolg, sondern die Behandlung an sich, die fachgerecht zu erfolgen hat. Zu beurteilen ist dies aus der Sicht ex ante, also aus der Sicht zum Zeitpunkt der Behandlung ohne Kenntnis des weiteren Verlaufs. Nach diesen Maßstäben erfolgen Behandlungen meist doch fachgerecht. Haftungsrechtliche Ansprüche sind dann nicht begründet.
Die operativen Verfahren sind trotz der Erfolge und sehr vielen Jahre Erfahrung mit ihnen gut und bleiben in kontinuierliche Entwicklung. Sie werden ständig verbessert, zuletzt mit den Zusätzen von biologischen Stoffen wie Wachstumsfaktoren und Stammzellen. Allerdings verstehen wir sie nicht immer vollständig. Einige Knie und einige Patienten werden trotz unserer besten Bemühungen scheitern. Unsere Patienten werden darüber vor der Operation beraten. Wir arbeiten mit ihnen und der Erfahrung der Lösung schwieriger Probleme auf neuartige Weise. Glücklicherweise haben wir auch sogenannte ‚Salvage’ Verfahren für den Fall das der Versuch fehlschlägt entwickelt. Allerdings ist der Ausfall unser Lehrer. Versagen lehrt uns, bei welchen Patienten das Verfahren funktioniert und wie wir sie verbessern. Ohne Fehler ist das Feld nicht zu fördern. Patienten sind nicht nur mit Metall- und Kunststofflösungen, die zwar nicht schlecht sind, zu versorgen. Noch schlimmer ist es, dass viele Patienten sich damit abfinden müssen, mit ihren Schmerzen zu leben. Warten Sie nicht bis sie alt genug für einen Gelenkersatz sind. Ist die Angst vor dem Scheitern wirklich lebenswerter als Schmerzen für ein Jahrzehnt oder mehr? So liegt die endgültige Entscheidung bei Ihnen! Ziehen Sie ihren Umschlag. Akzeptieren Sie, dass die Dinge nicht immer gut funktionieren. Betrachten Sie Versagen als gute Option, weil sie den Erfolg von neuen Lösungen, die sonst nicht kämen, sein kann. Begeben Sie sich auf gedankliche Ausflüge mit Ihrem Arzt und Chirurg und suchen Sie den Erfolg gegebenenfalls auch an der Front der Wissenschaft. Und am wichtigsten: lehnen Sie die Systeme ab, die Sie daran hindern könnten.
Links